Die Speditions- und Logistikwirtschaft in Baden-Württemberg warnt eindringlich vor weiteren Belastungen. Sie fordert zudem einen entschlossenen Abbau von Bürokratie sowie mehr Mut zu Technologieoffenheit beim Bewältigen der Antriebswende. „Der Cocktail aus höheren Löhnen, Steuern, Lohnnebenkosten, Zinsen, erhöhter Inflation und Energiekosten sowie einem Höchststand bei den Bürokratiekosten ist nicht nur ungesund, sondern giftig“, erklärte VSL-Präsident Dr. Micha Lege am Dienstag vor rund 200 Besucherinnen und Besuchern bei der Jahresmitgliederversammlung des Verbands im Haus der Wirtschaft in Stuttgart. Als hochrangige Redner aus Politik und Wirtschaft waren der Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, Cem Özdemir (Grüne), sowie der Top-Ökonom Prof. Dr. Lars Feld, Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Freiburg, dabei.
Zu den Hauptkostentreibern für Güterverkehr und Logistik zählen die zum 1. Dezember 2023 umgesetzte CO2-Maut und der zum 1. Januar 2024 erhöhte CO2-Preis. Erschwerend hinzu kommt laut VSL-Präsident Dr. Lege die Diskussion um eine Landesmaut in Baden-Württemberg. „Nach diesem kräftigen Schluck aus der Pulle durch die Ampel hätten wir uns auch bei der Landesmaut in Baden-Württemberg etwas mehr Fingerspitzengefühl erwartet“, sagte der Logistikunternehmer. Erheblich belastet sieht sich die baden-württembergische Logistikbranche auch durch eine ausufernde Bürokratie. Der VSL-Präsident forderte die Regierenden in Brüssel, Berlin und Stuttgart dazu auf, „eine Schneise durch den Wust unserer Bürokratie zu schlagen“. Ob CSRD-Berichtspflichten, Lieferkettensorgfaltspflichten-, Gebäudeenergie- oder Hinweisgeberschutzgesetz – die Regulierungswut koste die Wirtschaft viel Geld, nehme kein Ende und sei kaum mehr zu bewältigen.
VSL-Präsident Dr. Lege fordert Technologieoffenheit bei der Antriebswende
Für eine Kurskorrektur plädiert der VSL auch bei der Antriebs- und Energiewende. Er wehrt sich dagegen, dass die Politik den Menschen nicht nur die Ziele, sondern auch den Weg dahin vorgibt. „Überwiegend E-Mobilität, keine Verbrenner“, brachte es Dr. Micha Lege auf den Punkt und appellierte an die politischen Verantwortlichen, technologieoffen zu bleiben. „Wir können die ganze Antriebswende nicht immer nur gegen den Verbrenner führen“, erklärte er und wies auf die Potenziale von HVO100 und E-Fuels für die Bestandsflotte hin. Sie könne annähernd CO2-neutral betrieben werden. Die Politik müsse aber nicht nur fordern, sondern auch fördern, ergänzte der VSL-Präsident und erneuerte seine Kritik an der Streichung des KsNI-Förderprogramms beim Erwerb von klimaschonenden Lkw und Infrastruktur. „Das ist ein Unding! Man kann doch nicht die Lkw-Betreiber und -Hersteller in die Antriebswende treiben und dann den Stecker ziehen.“
Top-Ökonom Prof. Feld: Verunsicherung in Deutschland hält an
Wie der VSL-Präsident sieht auch Ökonom Prof. Dr. Lars Feld die steigende Kostenlast mit Sorge. Deutschland sei innerhalb Europas an der Spitze – leider aber in Kategorien, in denen man es sich nicht unbedingt wünscht: Bei den Arbeits- und Energiekosten, der Steuerlast und den Regulierungskosten sei die Republik auf den Plätzen 1 bis 4. Seit Amtsantritt der Ampelregierung sei der Bürokratiekostenindex, erhoben durch das Statistische Bundesamt, stetig gestiegen. In die gleiche Richtung entwickelt sich der Index für wirtschaftspolitische Unsicherheit – erhoben seit dem Jahr 2000 vom Forscherteam Baker-Bloom-Davis. Lag Deutschland in der Langzeitentwicklung immer schon leicht über dem Mittelwert, so ist die Republik hier seit 2021signifikant über dem Durchschnitt. „Wir haben in Deutschland schon immer mehr Sorgen als der Rest der Welt“, erläuterte Prof. Feld, der auch Berater von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) ist und zehn Jahre lang Mitglied des Sachverständigenrats für Wirtschaft war. Als „German Angst“ ist diese auch im angelsächsischen Sprachraum bekannt. „Sie müssen sich auch darauf einstellen, dass diese Verunsicherung noch eine Weile anhalten wird“, sagte der Redner an die Adresse der versammelten Unternehmerinnen und Unternehmer. Chancen für den Wirtschaftsstandort sieht er in Innovationen und dem technischen Fortschritt, profitieren könne der Standort Deutschland ferner von Handelsabkommen. „Sich nicht abschotten, sondern zusammenarbeiten, wo es geht“ – so die Empfehlung des Keynote-Speakers. Mit Blick auf die Antriebswende sieht Prof. Feld die CO2-Bepreisung als Schlüssel zum Erfolg an. Dadurch werden seiner Überzeugung nach CO2 eingespart und technische Innovationen ermöglicht.
Grünen-Spitzenpolitiker Özdemir wirbt für Handelsabkommen
Wie Prof. Feld warb auch Cem Özdemir, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, in seinem Vortrag für grenzüberschreitende Zusammenarbeit. „Wir müssen eigene Bündnisse schmieden“, erklärte der Grünen-Spitzenpolitiker. Er habe in seiner Partei schon frühzeitig die Auffassung vertreten, dass Freihandelsabkommen keine Bedrohung darstellen, sondern die Interessen Europas und die gemeinsamen Werte absichern. Auch vor Bauern bringe er diese Haltung zum Ausdruck und habe zum Beispiel das Abkommen zwischen der EU und den Mercosur-Staaten verteidigt. Übereinstimmungen zu seinem Vorredner als auch mit VSL-Präsident Dr. Lege gab es auch mit Blick auf Bürokratie und Genehmigungsverfahren. Glücklicherweise dauere es keine sieben Jahre mehr, bis ein Windrad genehmigt werde, sondern im Schnitt nur noch drei Jahre, sagte Özdemir. Doch es gebe noch Luft nach oben – auch bei der Genehmigung von Photovoltaik-Anlagen. Der Minister hatte zuvor einen Termin bei einem badischen Weingärtner, der vier Jahre auf eine Genehmigung einer PV-Anlage über seinen Reben gewartet habe.
Lange Wartezeiten akzeptiert der direkt gewählte Bundestagsabgeordnete aus dem Wahlkreis Stuttgart auch in anderer Hinsicht nicht – beim Ausbau der Bahninfrastruktur. „Es ist eine Blamage, dass wir bei der Rheintalbahn so massiv hinterherhinken“, sagte Özdemir, der vier Jahre lang Vorsitzender des Verkehrsausschusses im Bundestag war. Und auch die Performance der Bahn auf dem Netz lasse stark zu wünschen übrig, ergänzte der Grünen-Politiker und machte das an eigenen Erfahrungen fest, wenn er im Nachtzug von Stuttgart nach Berlin fahre. Regelmäßig müsse er ausländischen Gästen erklären, welchen Zug sie nehmen müssten, warum sie auf dem falschen Gleis stehen, warum die Wagenreihung verkehrt oder der Restaurantwagen geschlossen ist.
Fotos: VSL/Andreas Dalferth